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Mit ihrem dritten Album „New Woman“ tritt die Sängerin und Songschreiberin Lúisa endgültig ins Licht: Das Album ist zu gleichen Teilen Standortbestimmung, Trauerarbeit und hochgradig aufwühlender Wahnsinns-Pop.
Das Leben bis hierhin: für die Songschreiberin und Sängerin Lúisa immer wieder ein Anlass, ihre kämpferische Energie zu schärfen. Schon in der Jugend ging es um Selbstbestimmung, künstlerische Anerkennung, Bewältigung. So zum Beispiel damals, als sie in diesem australischen Mädcheninternat war. Mit Uniformzwang und fern der Heimat, auf sich selbst zurückgeworfen, durchgewirbelt von einem Sturm aus Alienation und What the fuck.
Später zieht sie zurück nach Deutschland, um dort von zuhause auszuziehen, und zwei Jahre später in Hamburg als Songschreiberin alles auf eine Karte zu setzen. Oder dann in der sogenannten Musikindustrie, in der Alles–Selbermach-Frauen – und vor allem: -Könnerinnen –, wie sie, für viele offenbar auch im 21. Jahrhundert immer noch eine Art Fremdkörper zu sein scheinen. Das alles und noch viel mehr hat Lúisa nun mit „New Woman“ verdichtet, ausformuliert, in große Liedkunst umgemünzt.
“It‘s never been like that / I‘ve been chasing my own head, for a long long time.” Mit diesen Zeilen beginnt das dritte Lùisa-Album. Der Song dazu heißt „Deep Sea State Of Mind“, was man vermutlich grob mit „Kopf unter Wasser“, „Überblick verloren“ übersetzen könnte, aber auch mit der schwerelosen Leichtigkeit und Stille, die einen unter Wasser umgibt. Die erste Single aus „New Woman“ ist ein tatsächlich maritim anmutender Song, der zwischen klar akzentuiertem Refrain und elegischen Strophen changiert.
Auch in dem ebenfalls ausgekoppelten „Late Summer Day“ oder dem geisterhaft-berückenden „To Let You Go“ sind der Wunsch nach klarer Verortung und Erlösung immer spürbar. Das Besondere ist allerdings, dass diese durchaus um Verlust und Trauer kreisende Musik nicht in der Depression versinkt, ganz im Gegenteil: Bei Lùisa geht es nicht um die Krise selbst, sondern um den Weg aus ihr hinaus. Durchaus im Leben und in der Kunst: So schrieb sie etwa ihre ersten richtigen Songs ausgerechnet in jenem australischen Internat und begann auch erst dort, auf Englisch zu fühlen, träumen, texten.
„Ich schreibe sehr persönlich und autobiografisch, hoffe aber, dass auf eine allgemeingültige Ebene transferieren zu können“, sagt Lùisa. „Songs sollten letztlich immer auch von den Erfahrungen des Autors losgelöst funktionieren.“
Die private Motivation von Lùisa, die Frage, warum und um wen oder was sie da trauert, spielt insofern absolut keine Rolle, das ist ja das Schöne: Sie zeigt auf „New Woman“ Wege, wie man weitermachen kann, wenn man nicht mehr vollständig ist und es vielleicht auch nie wieder sein wird. Lùisa zeigt, welche Rolle Musik in diesem Prozess einnehmen kann. Sie vermittelt Trost und Lösungsansätze.
Von dieser Maxime ausgehend, hat die Musik auf „New Woman“ etwas zu gleichen Teilen Melancholisches und Kämpferisches. Durch Lùisas enorme Pop-Sensibilität erfahren ihre Songs eine schwingende Eleganz, die die unerträgliche Leichtigkeit des Seins aller Dinge perfekt illustriert. Vor allem aber gehen einem diese Lieder nicht mehr aus dem Kopf, sobald man sie einmal gehört hat. Anders ausgedrückt: Der Kampf der Lùisa wütet, stampft und schreit nicht, sondern er findet auf „New Woman“ zu gravitätischer Kraft und wahrer Größe.
Es geht um die Suche nach Identität, einem Platz im Leben und in der Musik. Darum, sich immer wieder nach vorne zu kämpfen und aufzustehen. Im Titelsong, singt Lùisa: “Change, breaking my cage, making mistakes, taking my stage / Feel like an new Woman today.” Sie triumphiert, sie jubiliert, sie nimmt einen gefangen – und erzählt dabei von ihrer Rolle als Frau in einer immer noch deutlich männlich dominierten Industrie, in der das größte Problem oft gar nicht mal unbedingt die mangelnde Akzeptanz von Frauen überhaupt ist, sondern ihre Festschreibung auf sexistische Klischeebilder: das „Mädchen mit der Gitarre“, „die liebliche Stimme“, „die Muse“, die „zarte Fee“.
„Die feministischen Bewegungen der letzten Jahre haben mich total bestärkt, über diese Dinge zu sprechen“, sagt Lùisa. „Es geht um den Techniker, der sich nicht vorstellen kann, dass ich meine Loops selbst programmiere. Oder um die ganzen Leute, die mich fragen, ob ich nicht irgendwann auch noch mal was „Vernünftiges“ machen möchte. Männliche Musiker werden so was nie gefragt.“
Solchermaßen vielfältig inspiriert, hatte sie für „New Woman“ von Anfang an eine für sich fest umrissene Ästhetik im Kopf. Ehe sie diese indes tatsächlich erst zu Tönen und dann zu den elf Songs von „New Woman“ subsummierte, absolvierte Lùisa einen längeren Prozess der Suche nach Sound und Worten. Die Basis bei solcherlei Vorarbeit sind dabei Lùisas von der Pieke auf gelernte Singer-Songwriter-Skills: „Ein guter Song sollte immer auch mit nur einem Instrument funktionieren“, sagt sie. Das ist ihre Maxime, erst danach verfeinert sie Arrangements und Sounds, erarbeitet gemeinsam mit einem Bassisten und Schlagzeuger Grooves und Beats und führt das schließlich alles zusammen.
Diese Arbeitsweise macht Lùisa-Songs wie den kämpferischen, in Teilen bitterironischen Synth-Hymnus „Walking Home With A Lover“ so stark: man spürt das Fundament dieser Lieder. Nachdem sie seit der Kindheit Klavierunterricht hatte und auch sonst in einer musikverliebten Familie aufgewachsen ist, begann Lùisa als Teenager Gitarre zu spielen. Sie spielte und sang in einer Band, schrieb eigene Songs und schlug sich die nächsten Jahre allein durch. So entstand ihr erstes Album: „One Youth Ago“ nimmt sie 2012 komplett auf eigene Faust auf, erst die späteren Alben erscheinen bei dem kanadischen Label Nettwerk.
Lùisa spielt Konzerte in Kneipen und auf großen Festivals, geht im Vorprogramm der australischen Band The Paper Kites auf Europatour, tritt bei „Inas Nacht“ auf, ihr Song „Under The Wild Skies“ wird in der 5. Staffel von „Orange Is The New Black“ eingesetzt. So entwickelt sie sich über die Jahre vom One-Woman-DIY-Projekt zu der profilierten Songschreiberin und Sängerin, die sie heute ist.
Mit den weitgehend ausformulierten Demos zu „New Woman“ geht sie dann zu Tobias Siebert (Klez.e, Kettcar, Enno Bunger u.a.) nach Berlin. Der Produzent hatte sie einst bei einem ihrer Konzerte gesehen und wollte gerne einmal mit ihr zusammenarbeiten. A match made in heaven: Siebert versteht Lùisas Ansatz intuitiv, eine gewisse Eighties-Ästhetik mit ihren Singer-Songwriter-Roots und dem aktuellen Indie-Zeitgeist zu kombinieren, wie etwa in dem hochinfektiösen „Come Around“. Von Februar bis Ende April 2020 vergraben die beiden sich in Sieberts Kreuzberger Studio Buellenbrück.
Es war also die Zeit des ersten coronabedingten Lockdowns, und natürlich passt auch das wieder perfekt. Es geht auf dem Album und in Songs wie „Burn Out“, mit der wunderbaren Zeile „You can only burn out when your heart is in flames“, um Schuld und um Vergebung und Erlösung. Um die Dinge, die wir nicht ändern können, mit denen wir zu leben lernen müssen. Wie zum Beispiel mit einer weltweiten Pandemie.
Manchmal, auch das lernen wir von Lùisa, muss man loslassen, um weiterzukommen. Sie ist angekommen. Zumindest für den Moment. Pop sei Dank!
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